Als ich von Biografiearbeit das erste Mal hörte, dachte ich, dass diese Methode nur für die Arbeit mit hochbetagten Menschen geeignet ist, die auf eine Fülle von Vergangenheit zurückgreifen können. Wie reich die Anwendungsgebiete und Möglichkeiten der Biografiearbeit sind, wurde mir im Laufe des zweijährigen Lehrganges in der Pädagogischen Hochschule in Salzburg bald bewusst.
Biografiearbeit schafft Vertrauen und Beziehung. Durch das Eintauchen in Erinnerungen und den dazugehörigen Erzählungen, werden Verständnis und Verstehen gestärkt.
Je mehr man von einem Gegenüber weiß, desto besser kann man Handlungen und Denkweisen begreifen.

Vertrauen und Beziehung durch Biografiearbeit

Je mehr man von sich selber weiß, desto besser kann man die Gegenwart steuern und Zukunft planen.
Biografiearbeit ist somit das geeignete Instrument, um mit sich und anderen in Beziehung zu treten. Die wohlwollende Art und Weise ist die Grundlage für biografisches Arbeiten, lässt Schätze heben und stellt Versöhnliches in den Vordergrund.
Mit der Beschäftigung der Lebensphasen kann die eigene Entwicklung besser erfasst und geordnet werden. Mit der Klarheit und der Akzeptanz der vergangenen Ereignisse kann die Gegenwart besser verstanden werden.
Den eigenen Spuren zu folgen, bedeutet einen Zusammenhang herzustellen, Puzzleteile des Erlebens zusammenzusetzen und vielleicht Muster zu entdecken, die neue Erkenntnisse für die Gegenwart hervorbringen.

Die verschiedenen Aspekte der Biografiearbeit

Die Vergangenheit öffnet mit dem Erinnern die Sicht auf die eigenen Erfahrungen.
Die Gegenwart nützt diese, um das Leben zu gestalten und um neue Erfahrungen zu machen. Dadurch erhält die Zukunft Perspektiven und das Erkennen neuer Ressourcen.
Wer sich seiner selbst bewusst ist, tritt selbstbewusster auf.
Biografiearbeit dient auch der Auseinandersetzung mit Lebensbrüchen, mit Scheitern und mit der Annahme und Aussöhnung solcher Lebensereignisse.
Ebenso werden Lebensleistungen gewürdigt, Erinnerungen der Erfolge eröffnen neue Perspektiven und können zur Quelle und Inspiration für die Zukunft werden.
Ein biografisches Verständnis zu entwickeln, bedeutet die Biografie als Ganzes wahrzunehmen und gleichzeitig in einzelne Bereiche aufzugliedern.
Zu diesen Teilbiografien gehören: die soziale Biografie, die Kulturbiografie, die Naturbiografie, die spirituelle Biografie, die Lern- und Bildungsbiografie, die Persönlichkeitsbiografie und die geschlechtsspezifische Biografie.

Soziale Biografie

In der sozialen Biografie werden die prägenden Einflüsse, die mit unseren familiären Bezugspersonen verbunden sind, dargestellt. Neben der Herkunftsfamilie wird es auch andere Personen geben, die für uns bedeutsam waren bzw. sind.

Kulturbiografie

Die Kulturbiografie umfasst unsere Alltagskultur (Lebensstile, Gewohnheiten, Rituale) sowie den Bezug zu Theater, Musik, Literatur, Malerei etc.
Die Kulturbiografie schließt ebenso unsere Wohnkultur, Kleidungskultur, Esskultur, Streitkultur, Milieus ein und ist verantwortlich für unsere Umgangsformen, für unser Auftreten, für unseren Geschmack und für unsere Konsumgewohnheiten. Das Bewusstmachen unserer Kulturbiografie lässt uns besser erkennen, wer wir sind und wie wir es zum Ausdruck bringen.

Naturbiografie

In der Naturbiografie geht es um die Geschichte unserer eigenen Natur – unseres Körpers – und um unseren Bezug zur uns umgebenden Natur. Der menschliche Körper ist im Laufe des Lebens verschiedenen Einflüssen und Entwicklungen unterworfen.
Zur Naturbiografie gehören auch die Urlaubsorte, an die wir vielleicht ganz besondere Erinnerungen haben und unser Bezug zu den Jahreszeiten.

Spirituelle Biografie

In der spirituellen Biografie finden wir die Zugänge zu unserem Glauben, zu unseren Weltbildern und zu unseren Ideologien. Unsere individuelle Glaubensgeschichte geht über unsere religiösen Erfahrungen hinaus und orientiert sich an Bezugspersonen und Traditionen, die wir erlebt haben.

Lern- und Bildungsbiografie

In unserer Lern- und Bildungsbiografie sind unser schulischer Werdegang, unsere Ausbildungen und alle unsere Lernerfahrungen abgebildet. Lernen geschieht immer und ist ein lebenslanger Vorgang. Bei diesem biografischen Zugang berücksichtigen wir unsere Lernmöglichkeiten und –felder, die sich verknüpfen und aneinander anschließen. Beim Betrachten unseres bisherigen Lernweges werden uns unsere Kompetenzen, unser Wissen, unsere Fähigkeiten und unsere Kenntnisse bewusst und ermöglichen die Planung von neuen Lernschritten.

Persönlichkeitsbiografie

Unsere Persönlichkeit ist durch die vorgenannten biografischen Aspekte geprägt und gebildet. In der Persönlichkeitsbiografie sind alle unsere Charaktereigenschaften enthalten, unsere Ausprägungen, Stärken und Schwächen.

Geschlechtsspezifische Biografie

In der geschlechtsspezifischen Biografie werden die geschlechtsbezogenen Aspekte dargestellt. Auf Frauen und Männer wirken unterschiedliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Geschlechterunterschiede haben Bedeutung. Die Entwicklung des Lebensbereiches „Sexualität“ findet hier ihren Platz sowie der Bezug zur eigenen Weiblichkeit oder Männlichkeit.


Alle diese Teilbereiche machen uns als Ganzes aus.
Die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte, ob man sie nun anderen erzählt oder für sich aufschreibt, kann eine wohltuende, anregende und heilsame Wirkung entfalten.
Es ist auf jeden Fall wert, dass man es selber ausprobiert und in die eigenen Geschichten eintaucht. Viel Freude bei Ihrer Spurensuche und beim Heben Ihrer persönlichen Schätze.

Über die Autorin

Michaela Türk, MAS ist seit 2004 im Vorstand des Business Frauen Center. 2009 bis 2011 hat sie den Lehrgang der „Biografiearbeit“ an der Pädagogischen Hochschule in Salzburg abgeschlossen.
Seit 2009 ist Frau Türk lehrtätig an der Schule für Sozialbetreuungsberufe der Diakonie De La Tour in den Fächern „Biografiearbeit“ und „Psychohygiene und Supervision“. Seit 2013 ist sie wissenschaftliche Leitung der Weiterbildungslehrgänge „Mediation und Konfliktmanagement“ an der Fachhochschule Kärnten.

Quellen:

Lebensmutig. Vergangenes erinnern, Gegenwärtiges entdecken, Künftiges entwerfen”” von Hubert Klingenberger, 2003 Don Bosco Verlag, München