Digitalisierungsstrategien bekommen nur Kraft, wenn jede Führungskraft auch im eigenen Verantwortungsbereich Potenziale und Chancen erkennt und bereit ist, eine Transformation einzuleiten.

Die Digitalisierungswelle transformiert unser Leben – rollt die Welle über uns, oder haben wir die Fähigkeit auf dieser Welle zu surfen? Was braucht es, um die Welle zu reiten und den eigenen Weg zu gestalten? Wo mitschwimmen? Wo aufspringen? Wo bewusst andere Wege suchen?

Der radikale Shift im Jahr 2020, dynamisiert durch die Coronakrise, hat Unternehmen und deren Führungskräfte fast flächendeckend mit der Digitalisierung hautnah in Kontakt gebracht. Digitale Skills wurden sowohl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch von Führungskräften fast über Nacht hervorgebracht – viele waren über sich selbst erstaunt, wie rasch es gelungen ist, Kompetenzen zu entwickeln und digitale Tools zu nutzen. Jetzt, einige Monate später zeigt sich, ob dies eine Einmalfliege war, oder ob wir bereit sind, die Möglichkeiten durch die Digitalisierung mutig weiterzuverfolgen. Der Ausgangspunkt hängt vom digitalen Reifegrad der Organisation und jener von mir als Führungskraft ab.

Eines ist klar: Digitalisierung ist kein IT-Projekt, Digitalisierung ist ein Transformationsprozess, der das gesamte Unternehmen betrifft und aktiv gestaltet werden muss. Transformation deshalb, da die Digitalisierung echte Chancen bietet, radikal neu zu denken und nicht nur Bestehendes leicht angepasst zu digitalisieren. Um diese Transformation aktiv zu gestalten, braucht es ein digitale Entwicklungsbereitschaft auf unterschiedlichen Ebenen:

„Digital Mindset“ entwickeln

Unser Mindset steuert WAS und WIE wir es wahrnehmen. Bezüglich Digitalisierung hören wir oft folgende Mindsets „Darum muss sich die IT-Abteilung kümmern, da kenne ich mich nicht aus“, oder „Irgendwann werden wir noch durch die Computer ersetzt, es braucht den Menschen!“, oder „Da holen wir einen IT-Experten (in diesem Fall wurde bewusst die männliche Form gewählt…), der wird das für uns umsetzen“. Die Mindsets schwanken zwischen Ohnmachtsgefühl, Expertengläubigkeit und Abschiebung der Verantwortung.

Um als Führungskraft im eigenen Verantwortungsbereich die Digitalisierung voranzubringen, braucht es aber eine reife und reflektierte Haltung – die Chancen erkennt, Potenziale ermöglicht, aber auch klar Grenzen setzt – also eine Haltung wie: „Digitalisierung gibt mir völlig neue Möglichkeiten und Chancen – und ich werde diese nutzen, dort wo es für mich/meine Mitarbeitenden/dem Unternehmen/den Kundinnen und Kunden einen Mehrwert bringt.“

Das WOFÜR kennen

Im Driver Seat zu sein, bedeutet auch, Fokus zu entwickeln. Unter der Vielzahl an Möglichkeiten gilt es, zu erkennen, wofür ich was einsetzen könnte und letztlich möchte – also welchen Nutzen ich erreichen möchte. Der Nutzen der Digitalisierung kann dabei auf vielen unterschiedlichen Ebenen liegen: effizientere, transparente Prozesse, stärkere Partizipation, Reduktion der CO2-Belastung, Verbesserung der Lebensqualität, flexiblere Arbeitsmöglichkeit, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Verfügbarkeit von Informationen etc. Dieses WOFÜR hängt stark mit den zu erreichenden Zielen zusammen und ist situationsbezogen abzuwägen – es hängt somit stark von der Bewertung der Führungskraft mit ihrem Team ab. Ein Team mit Teilzeitkräften, wird eher die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund haben als ein Team von Full-Time Experts, aber zum Glück ändert sich auch das mit der Generation Z dramatisch.

„Digital Literacy“ entwickeln

Neben einer offenen inneren Haltung brauchen Führungskräfte vor allem auch eine bewusste und intensive Auseinandersetzung mit den digitalen Möglichkeiten im eigenen Kerngeschäft. Einerseits, um die Chancen zu erkennen und auf der anderen Seite auch, um die Risiken abzuschätzen zu können, die damit verbunden sind. Dies reicht von Webshopsystemen im Vertrieb, Automatisierungsprogrammen in der Industrie oder Collaboration Tools für online Kundengespräche, um nur ein Gefühl für die Bandbreite zu geben. Digital Literacy bedeutet dabei, sich einen guten Überblick über die digitalen Möglichkeiten zu verschaffen, als auch so viel Kompetenz zu entwickeln, dass eine „Sprachfähigkeit“ und auch Bewertungsfähigkeit möglich wird. So kann erkannt werden, wo durch Nutzung digitaler Technologie echter Mehrwert erzielt werden kann und wo auch nicht, oder vielleicht derzeit nicht. So kann es gelingen, sich nicht der Technologie auszuliefern, sondern aktiv die Digitalisierung für den eigenen Bereich zu gestalten.

Als kurze Übung können folgende Fragen eine erste Orientierung dafür geben, wo Sie als Führungskraft Handlungen setzen möchten. Die Fragen basieren auf den 4 Gestaltungsfeldern von Führung: Meine eigene Entwicklung und jene des Teams das ich führe, als auch die Gestaltung der Organisation nach innen und nach außen.

Letztlich ist es eine Frage der guten Überlebensfähigkeit als Organisation, ob wir uns den Chancen und Herausforderungen der Zeit offen und ohne Scheuklappen stellen oder nicht. Je schneller wir uns auf den Weg machen und einen Schritt nach dem anderen auch gehen, desto mehr Erfahrung bekommen wir im Ausprobieren, Anpassen, neue Wege suchen…

Über die Autorin

Ingrid Preissegger ist Unternehmensberaterin, Mediatorin und Coach bei Trigon Entwicklungsagentur. Sie begleitet seit über 10 Jahren Organisationen, Teams und Menschen bei Veränderungsprozessen. Ihre Erfahrungen in unterschiedlichsten Branchen ermöglichen einen sehr interdisziplinären Blick bei Innovationen, Strategien, Führungsentwicklung und Resilienzentwicklung.