Durchforstet man die digitalen Welt nach dem Begriff Female Leadership ergeht es man (und frau) ähnlich wie bei den Themen Digitalisierung und Klimawandel: Man taucht ein in eine Flut von Daten, Fakten, Publikationen, Analysen, Erfahrungsberichten, Essays, Methoden und vieles mehr. Vergleichbar auch die unterschiedlichen Herangehensweisen von einer sehr engen bis hin zu einer sehr weiten Begriffsdefinition, die im letzteren Fall auch die Themenfelder Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gesellschaftliche Werthaltungen, familienfeindliche Steuersysteme, Forderungen nach Quoten, der Mehrwert von Diversität in Teams generell, usw. berühren. Mit der Pandemie ist außerdem noch der Aspekt „Führen in Distanz“ in all seinen Facetten dazugekommen. Auffällig ist jedenfalls, dass sich inzwischen ein respektabler Geschäftszweig im Bereich Ausbildung sowie Coachings im Bereich Female Leadership entwickelt hat, der Frauen unterstützen soll, in der Welt des (Top-) Management zu reüssieren.

Unabhängig davon, ob die Entwicklung des Anteils von Frauen in Führungspositionen wie Vorständen oder Aufsichtsräten in Österreich und Europa zur öffentlichen Diskussion gestellt wird [1], oder wie das Wahrnehmen von Führungsverantwortung mit familiären Verpflichtungen gelingen kann: der Diskurs über Frauen in Führungsfunktionen, das Präsentieren von Erfolgsbeispielen in der Öffentlichkeit muss noch lauter, noch intensiver geführt werden – schon allein aus unserer Verpflichtung den nachfolgenden Generationen gegenüber.

Verlässt man die digitale Blase und kommt auf den Boden der Realität zurück, dann bedeutet das Wahrnehmen von Führungsverantwortung für mich, sich täglich mit Menschen auseinanderzusetzen, täglich bereit zu sein, sich auf Menschen einzulassen, letztlich also Beziehungsarbeit zu leisten.

Nicht das Geschlecht, sondern die Persönlichkeit macht einen Unterschied.

Gute Führungspersönlichkeiten besitzen ein ausgeprägtes Sensorium für ihre Mitarbeiter*innen. Es gelingt ihnen eher, die Mitarbeiter*innen durch Verständnis für ihre Themen und ihre Lebensumstände zu motivieren. Frauen tendieren zwar eher zu einem sogennanten transformativen Führungsstil, bei dem man den Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe begegnet und sich als Mentor bzw. als Mentorin einbringt, aber dies trifft aus meiner persönlichen Erfahrung genauso wenig auf alle Frauen zu wie ein patriarchalischer Führungsstil auf alle Männer zutrifft. Frauen in Führungspositionen weisen in der Regel keinen anderen Führungsstil auf als ihre Kollegen, setzen aber ihre Schwerpunkte anders. Agile Führungsformen, die einen Ordnungsrahmen für Mitarbeiter*innen definieren, innerhalb dessen sie sich selbstbestimmt bewegen können, sind Führungsstile, die sich als durchaus entkommend für Frauen darstellen.

Führung lernt man nicht aus Büchern, sondern im Tun.

Welche Form der Führung einem liegt, welcher Führungstyp man ist, erfährt man vor allem durch das eigene tägliche Tun. Gute Führungspersönlichkeiten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass ihr Reden mit ihrem Handeln übereinstimmt. Damit wird eine Basis für Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Mitarbeiter*innen geschaffen. Selbstreflexion der eigenen Führungskompetenz ist essenziell, um sich weiterzuentwickeln, die eigenen Stärken ausbauen sowie an den eigenen Schwächen arbeiten zu können.

COVID – Plus: Führen in Distanz birgt besonders für Frauen Chancen!

Und plötzlich waren alle zuhause! Von einem Tag auf den anderen waren Führungskräfte und Mitarbeiter*innen im Home Office, und sehr schnell stellte sich heraus, dass Führen in Distanz, ohne physische Nähe für beide Seiten eine Herausforderung ist. Auch wenn die digitale Lernkurve nach oben schnellte, ohne Bruchflächen blieb es weder auf der Seite der Mitarbeiter*innen noch auf der Seite der Führenden. Tendenziell hatte man den Eindruck, dass Führungskräfte mit eher patriarchisch geprägten Führungsstil bzw. in ausgeprägt liniengeführten Organisationen mit der Abwesenheit der Mitarbeiter*innen eher überfordert waren. Gutes Beispiel aus eigener Erfahrung waren ausführlich geführte Diskussionen der Führungsebene, ob Mitarbeiter*innen im Home-Office mehr als ihre tägliche Sollarbeitszeiten erbringen dürfen, während in Vor-Pandemiezeiten es selbstverständlich war, dass Mitarbeiter*innen im wöchentlichen Arbeitszeitrahmen die einzelnen Arbeitstage weitgehend autonom gestalten konnten. Als ob Anwesenheit im Büro eine Korrelation zur Leistung hätte. Gerade Frauen mit Kindern wissen, dass das ständige Kontrollieren der eigenen Kinder nicht nur zermürbend ist, sondern langfristig zu nichts führt. Im Gegenteil als Mutter gibt man einen Rahmen vor und lässt bei entsprechender Vertrauensbasis mit zunehmendem Alter die Autonomie der Kinder stetig größer werden. Ähnlich verhält es sich mit Führen auf Distanz: es benötigt einen klaren Rahmen und eine entsprechende Vertrauensbasis zwischen Führenden und Geführten.

Fazit

Gerade für uns Frauen sollte gelten: less conversation, more action, please! Weniger Zurückhaltung, ein Mehr sich trauen und sich vertrauen, und sich von dem Anspruch verabschieden, als Frau in der Führungsrolle perfekt sein zu müssen.

Über die Autorin

Ich bin Petra Rodiga-Laßnig, 51 Jahre alt und Prokuristin bei der BIK Breitbandinitiative Kärnten GmbH. Trotz klassischer Rollenbilder im familiären Umfeld und Schulbildung an einem neusprachlichen Gymnasium inskribierte ich 1988 an der Technischen Universität Graz und schloss das Studium der Technischen Mathematik ab. Ich bewegte mich beruflich jahrelang in der angewandten Forschung im industrienahen Bereich wie auch der evidenzbasierten politischen Beratung. Meine Leidenschaft für das Thema der strategischen Standortentwicklung lebe ich seit 2014 in verschiedenen landesnahen Gesellschaften aus. Es ist mir ein Anliegen einen Beitrag zur Entwicklung Kärntens zu einem über die Grenzen hinaus wahrgenommenen zukunftsorientieren Wirtschafts- und Lebensraum zu leisten.

Quellenangaben

[1] siehe beispielweise https://de.statista.com/statistik/daten/studie/328252/umfrage/frauen-in-fuehrungspositionen-in-oesterreich/