Was die Sichtbarkeit und Präsenz in den unterschiedlichsten Medien anbelangt, wissen wir, dass Frauen weniger sichtbar sind als Männer. Eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aus 2020 zeigt, dass in österreichischen Tageszeitungen auf eine Frau knapp drei Männer kommen. Eine Auswertung von „Der Spiegel“ kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Rund 40.000 Texte eines Jahres wurden ausgewertet. Während 107.000 Männer in diesen Texten präsent waren, kamen lediglich 28.000 Frauen zu Wort.

Was die Sichtbarkeit von Frauen anbelangt, befinden wir uns also in einem starken Ungleichgewicht. Es gibt Bereiche, in denen Frauen kaum sichtbar sind – Bereiche, die in puncto öffentliche Meinung, Fokus und Expertise relevant sind. Dann gibt es wiederum Bereiche, in denen Frauen überrepräsentiert sind – Bereiche, die weder die Beachtung noch die Entlohnung bekommen, die sie verdienen. Höchste Zeit, das zu ändern, wie ich finde.

Die Lebensrealitäten von Männern und Frauen unterscheiden sich

In den Medien sollten diese Unterschiede auch präsent sein. Dabei geht es nicht nur um die Art und Weise, wie Wissen, Fakten oder Nachrichten präsentiert werden, sondern eben auch darum, wie Konsument:innen die Medien rezipieren. Es gibt Themen, bei denen man eher einer weiblichen Stimme vertraut, gleichzeitig findet man vielleicht eine Frau sympathischer, wird sich eher mit dieser und ihrer Lebenssituation vergleichen können – und sich so womöglich auch mehr mit dem präsentierten Thema befassen.

Ein weiterer Aspekt, der vielleicht sogar der wichtigste ist, ist die Vorbildwirkung für Mädchen und junge Frauen. Auch diese konsumieren tagtäglich Medien. Sie sehen, lesen und hören dort von Männern in zahlreichen Kontexten, zu unterschiedlichsten Themen. Aber die weibliche Stimme fehlt oft – Frauen, denen sie vielleicht eher vertrauen oder wichtiger: die sie sich zum Vorbild nehmen könnten, fehlen. Vielmehr werden in den Medien geschlechterspezifische Stereotype weitergetragen und so den nachfolgenden Generationen mitgegeben. In denen befinden sich Frauen in sozialen Berufen, übernehmen Pflegeaufgaben, sind Pädagoginnen oder kümmern sich um die Familie. Stereotype, die dann auch Mädchen verinnerlichen.

Das soll nicht bedeuten, dass keine junge Frau mehr den Wunsch hegen darf, in einem sozialen Beruf zu arbeiten, Karenzzeiten in Anspruch zu nehmen oder Berufe zu wählen, in denen sie nicht im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Das Wichtigste ist und bleibt, dass Mädchen und Frauen ihr Potenzial erkennen können und dieses voll ausschöpfen. Dabei soll ihnen bewusst sein, dass sie als Frauen genauso Expertinnen sind, eine wertwolle, gewichtige Meinung haben und die Welt verändern können.

Was können wir Frauen tun, um sichtbarer zu werden?

Darauf zu warten und hoffen, dass sich die Dinge von selbst verändern, ist der falsche Weg. Was es braucht, sind Frauen, die ihre Bescheidenheit hinter sich lassen, selbstbewusst auftreten und sich darüber bewusst sind, über welches Wissen sie verfügen und welchen Einfluss sie haben. Solange wir es zulassen, dass der Fokus auf Männern liegt, wird sich daran nichts verändern. Anstatt darauf zu warten, gefragt zu werden, ist es für uns Frauen umso wichtiger, uns selbst in den Fokus zu rücken, unsere Expertise zu zeigen und laut zu sein.

Natürlich ist es leichter gesagt als getan – nur weil wir sagen: „Ihr dürft selbstbewusst auftreten, ihr müsst nicht bescheiden sein, zeigt, was ihr könnt“, werden sich Frauen nicht von einen Tag auf den anderen denken: „Ab heute bin ich selbstbewusst und zeige, was ich kann.“

Wo sind die weiblichen Perspektiven?

Ein wichtiger Schritt ist, sich über diese Ungleichverteilung bewusst zu werden, Medien mit diesem Wissen bewusster zu konsumieren und diesen Umstand in Frage zu stellen. Wann immer sich die Möglichkeit bietet, gilt es nachzufragen – wieso kommt keine Frau zu Wort? Was unterscheidet den männlichen Experten von einer weiblichen Expertin? Dann braucht es gegenseitige Unterstützung: Wann immer wir merken, dass sich Frauen klein machen, sich selbst in Frage stellen, gilt es dem entgegenzuwirken und diesen Frauen Mut zuzusprechen, sie zu unterstützen und ihre Selbstzweifel zu hinterfragen. Leider ist es immer noch so, dass Frauen oftmals in Konkurrenz zueinanderstehen. Das ist der falsche Weg – wir sollten uns alle gemeinsam groß machen, uns unterstützen und pushen. Nur wenn wir geschlossen auftreten, können wir etwas verändern. Dann heißt es auch an sich selbst zu arbeiten, damit man tatsächlich über das notwendige Selbstbewusstsein verfügt und eine präsente Stimme hat.

Personal Branding ist gefragt

Was bedeutet das? Zu einer Personal Brand gehört nicht nur Job, sondern sämtliche Erfahrungen, Fähigkeiten, Wissen, ehrenamtliches Engagement und vieles mehr. Wenn man sich bewusst vor Augen führt, was man alles kann und weiß, fällt es viel leichter, diese Expertise in den Fokus zu rücken. Die sozialen Medien unterstützen uns dabei optimal, uns in unserem Themenbereich zu positionieren und regelmäßig darüber zu kommunizieren. Und damit ist der erste Schritt Richtung Sichtbarkeit schon gemacht.

Zur Autorin

Sonja Steßl ist Vorstandsdirektorin der Wiener Städtischen Versicherung. Was das Thema Sichtbarkeit anbelangt, zeigt sich in einem der führenden Versicherungsunternehmen ein anderes Bild. Bereits in den 1980er Jahren zog die erste Frau in den Vorstand ein. Heute sind mit Sonja Steßl drei Frauen im sechsköpfigen Vorstand der Wiener Städtischen vertreten. Doch nicht nur auf der obersten Ebene sind Frauen sichtbar, über alle Unternehmensbereiche und -ebenen sind Frauen vertreten und prägen das Unternehmen. Der Frauenanteil im Unternehmen beträgt mehr als 40 Prozent, im Innendienst sind mehr als ein Drittel aller Führungskräfte Frauen. Und ein Blick auf den Nachwuchs zeigt, dass Frauen immer präsenter werden: Mehr als 50 Prozent der Lehrlinge sind weiblich. Die Wiener Städtische gilt seit vielen Jahrzehnten als frauenfreundliches Unternehmen und fördert weibliche Karrieren auf unterschiedlichste Weise. So ist es im Unternehmen auch möglich, in einer Teilzeitbeschäftigung eine Führungsposition zu übernehmen, und mit zahlreichen Maßnahmen wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gezielt gefördert. Mit oder ohne Kinder – in der Wiener Städtischen haben Frauen mit entsprechender Qualifikation und Leistungsbereitschaft die Möglichkeit, Karriere zu machen. Worauf es ankommt, sind Engagement und Leistung.