Freiheit und Gerechtigkeit beruhen darauf, daß dem andern abgegolten wird, was ihm zusteht“, schreibt Olympe de Gouges (1748–1793) in Artikel IV der “Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin“, die im September 1791 in Frankreich erscheint und einen der bedeutendsten Texte des Feminismus darstellt. In diesem Sinne versuchen Frauen seit mehr als 230 Jahren ihre Gleichstellung in der Gesellschaft und infolge auch in der Wirtschaft zu erhalten.

Der Feminismus als gesellschaftspolitische Bewegung, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, Diskriminierungen aufdeckt und gesellschaftliche Normen und Strukturen verändern will, wurde leider oft als einseitiges Instrument für den sogenannten „Machtrausch“ der Frauen angesehen. Feministinnen waren frustrierte Weiber, die nicht wussten, wo ihr Platz war, nämlich in der Küche und im Haus. Das stimmt insofern nicht, denn diesen Ort der Macht wollen Frauen seit vielen Jahren mit den Männern teilen. Mit dem Slogan „Halbe – Halbe“ kämpften sozialdemokratische Frauen unter der Führung von Johanna Dohnal für mehr männliche Teilnahme an der Familienarbeit. Die Macht des Hauses war den Frauen bestimmt, denn die anderen Orte der Macht, wie „die Burg, der Markt und der Tempel“, wie die Machtexpertin Bauer-Jelinek meint, gehören weitgehend den Männern.

Frauen an die Macht

Aber die Zeiten ändern sich und viele Frauen erarbeiten sich konsequent ihre Plätze auch in den anderen Orten der Macht. Denn mit einem ausgewogenen Geschlechtergleichgewicht sollen sowohl Männer als auch Frauen gleiche Chancen und Zugang zu Angelegenheiten in allen Institutionen der Gesellschaft haben, nämlich Religion, Wirtschaft, Bildung, Kultur und Politik. Das bringt nicht nur den Frauen einen Mehrwert, sondern allen etwas.

Da geht es nicht um einen Verdrängungswettbewerb, sondern um die gleichwertige Verteilung von Gestaltungsmöglichkeit und Führungsanspruch. Und es wäre eine Umverteilung, die auch profitabel ist. Laut der Studie „Woman Matter“ von McKinsey bewirkt Gender Balancing in Unternehmen einen durchschnittlichen Anstieg von 17 Prozentpunkten des Börsenkurses sowie doppelt so hohe Betriebsgewinne. Eine Studie von Catalyst bescheinigt Unternehmen mit Diversity/Gender Balance eine 42% höhere Umsatzrendite sowie eine 66% höhere Rendite des investierten Kapitals und eine 53% höhere Eigenkapitalrendite.

Wir brauchen „Halbe-Halbe“

Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass „Halbe-Halbe“ in der Care Arbeit Realität werden muss. Hier gibt es nach wie vor großen Aufholbedarf: „Die klassische Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern ist zurückgekommen.“ Das stellen nicht nur die UN, die Hans-Böckler-Stiftung oder die Agentur für Arbeit in Deutschland nach der Coronapandemie fest. So verhalten sich die meisten Frauen stereotypkonform, erledigen ruhig und fleißig die Familienarbeit neben der Erwerbsarbeit. Sich in die Teilzeitfalle zu begeben, um für Kinder da zu sein ist das gängigste Muster, um die aktivste Phase zu bewältigen. Wut und Aggression, Grenzen setzen, kommt bei Frauen leider nach wie vor weniger gut an, als wenn es Männer tun.

Seit ich eine junge Frau bin, verstehe ich nicht, warum Arbeit unterschiedlich bemessen wird und Lebensarbeit, die meistens von Frauen durchgeführt wird, wenig honoriert wird. Kein Staat der Welt will sich die Bezahlung der Care Arbeit, die größtenteils von Frauen getätigt wird, bezahlen.

Was ist dann die Lösung? Was würde ich mir für die nächsten Generationen wünschen? Eine Gesellschaft, die ein Miteinander lebt, geteilte Carearbeit als Selbstverständlichkeit erachtet und Kinder in die Arbeitswelt integriert.

Genderbalancing als Zukunftsvision

Eine schöne Vision für die Zukunft wäre, dass alle Menschen befreit werden aus Geschlechterzwängen, nicht nur die Frauen. Denn es geht nicht um die Integration der Frauen in das Bestehende, wie die Vermännlichung der Frau, sondern die Vermenschlichung der Geschlechter. Somit kann jeder Mensch, egal welches Geschlecht er ist, seine Fähigkeiten ohne Rollenzuschreibung einbringen.

„Das hieße, dass Menschen in erster Linie Menschen wären und nur in zweiter Linie weiblich oder männlich wären. Das Geschlecht wäre nicht mehr Schicksal. Der Männlichkeitswahn wäre so passe genauso wie der Weiblichkeitskomplex,“ schreibt Alice Schwarzer in ihrem letzten Buch mit dem Titel Mein Leben.

Dem kann ich einiges abgewinnen, denn die Erstarrung und Festlegung in Geschlechterrollen haben nicht viel gebracht. Nichtsdestotrotz haben Frauen einen Aufholbedarf in Führungsrollen und Männer in der Care Arbeit. In vielen Bereichen kann nur eine Ausgewogenheit der Geschlechter zu einer Weiterentwicklung der Gesellschaft führen.

Ich bin der festen Meinung, dass viele Männer und Frauen bereit für Erneuerungen sind, die sich dem patriarchalischen Weltbild entgegensetzen, um ein gerechteres und lebenswertes Umfeld für alle zu schaffen. Wirklich große soziale Innovationen oder Veränderungen kann eine Einzelperson nicht meistern. Dafür braucht es viele Menschen und startet immer mit der Bündelung von gemeinsamen Kräften.

Daher warten wir nicht länger und gestalten wir gemeinsam das Neue mit Genderbalancing.

Über die Autorin

Daniela Stein ist Gründerin und Geschäftsführerin des Business Frauen Centers. Seit über 20 Jahren setzt sie sich für Chancengleichheit und Diversity ein. Das BFC bietet Vernetzung, Weiterbildung und Sichtbarkeit für engagierte Frauen und Unternehmen.

Quellenverzeichnis

Olympe de Gouges (1791): Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin
Christine Bauer-Jelinek (2007): Die geheimen Spielregeln der Macht. Und die Illusionen der Gutmenschen. Ecowin Verlag, Salzburg
McKinsey (2017): Woman Matter. Time to accelerate. Ten years of insight into gender diversity.
Catalyst (2020): Why Diversity and Inclusion Matter: Financial Performance.
Alice Schwarzer (2022): Mein Leben. Lebenslauf und Lebenswerk. Kiepenhauer&Witsch