Ich war in der Schweiz Berufsoffizierin aus Leidenschaft, nun bin ich im Bodental Gastronomin aus Leidenschaft. Ein persönliches Fazit zum Thema Neustart.

Einen Neustart, aber wie?

Neustart in ein neues Leben, in einem „neuen“ Land, in einer „neuen“ Branche. Welche Beweggründe treiben jemanden dazu, mit 41 Jahren, mitten im Leben, ihren Herzensjob in der Schweiz aufzugeben und etwas komplett Neues zu machen? Der Auslöser war klar und einfach: die Liebe zu einem Mann in Kärnten.  Dass meine Tochter und ich unseren Lebensmittelpunkt in ein „neues“ Land verschieben, war über kurz oder lang absehbar, denn es lag auf der Hand, irgendwann die Entscheidung zu treffen, wo sie eingeschult wird. Diese Entscheidung fiel auf Österreich und so war klar, dass wir umziehen. Ich behaupte, dass für viele dies grundsätzlich wahrscheinlich nicht das Problem ist, da viele Berufe auch in anderen Ländern ausgeübt werden können, mit viel Glück der aktuelle Arbeitgeber vielleicht sogar Stellen im anderen Land hat. Nun als Berufsoffizierin der Schweizer Armee war dies doch etwas schwieriger und weil mir das Netzwerk fehlte, noch schwieriger. Also musste ich eine Alternative finden. Hätte mir vor drei Jahren jemand gesagt, dass ich jemals ein Gasthaus führen würde, hätte ich diese Person wahrscheinlich für verrückt erklärt. Ich hatte einen soliden, bodenständigen, interessanten und anspruchsvollen Job in der Schweiz, den ich leidenschaftlich gerne ausgeübt habe.  

„Für einen Neustart braucht es Mut, Wille und Energie“

Mein Lebensmotto ANIMUS – VOLUNTAS – ROBUR, zu Deutsch MUT – WILLE – KRAFT begleitete mich somit weiterhin in meinen „neuen“ Leben. Denn während Corona, ohne Kenntnisse, ohne Netzwerk und in einem „neuen“ Land einen solchen Neustart zu wagen, braucht meiner Meinung nach mindestens diese drei Eigenschaften. Ich bin aber davon überzeugt, dass mir meine Ausbildung als Offizierin hier sehr viel gebracht hat. Analytisches Denken, systematisches Vorgehen und strukturiertes Arbeiten sind – wie auch in anderen Branchen – auch hier sehr wichtig.

Die Herausforderungen

Welche Herausforderungen mir dieser „Neustart“, aber wirklich bringt, wusste ich, aber nur teilweise. Denn neben den fehlenden beruflichen Kenntnissen für diese Branchekamen noch ganz andere Herausforderungen dazu. Auch wenn ich oft sage, dass Österreich und die Schweiz sich sehr ähnlich sind, sind sie dennoch sehr unterschiedlich. Unter anderem ist die Sprache dabei nicht zu unterschätzen. Obwohl in beiden Ländern mehrheitlich Deutsch gesprochen wird, ist es nicht dasselbe. So habe ich persönlich bemerkt, dass es gefährlich ist, schweizerische Redewendungen zu verwenden, sei es im privaten Umfeld, mit meinen Mitarbeitern oder bei den Gästen. Redewendungen werden oft nicht richtig verstanden. Mir geht es umgekehrt genauso. Hier kommt mir sicher zugute, dass ich beruflich in der Schweiz eigentlich immer auch mit den anderen Landessprachen konfrontiert war und dadurch relativ schnell merkte, dass mein gegenüber mich nicht verstanden hat. Arbeitet man in einem internationalen Umfeld, beispielsweise in englischsprachigen Ländern, ist man sich dessen wahrscheinlich eher bewusst, als wenn sich hier zwei deutsche Sprachen treffen. Eine weitere Herausforderung, derer ich mich wirklich nicht bewusst war, sind die Mitarbeiter*innen. Irgendwie hatte ich die Vorstellung, ich eröffne ein Gasthaus, habe ein paar Mitarbeiter*innen und alles ist gut. Viel Zeit für die Familie und ich kümmere mich ein wenig um das Administrative. Doch ich musste feststellen, dass die Leute, die im Gastgewerbe arbeiten, nicht plötzlich vor der Tür Schlange stehen, um in einem unbekannten Gasthaus zu arbeiten und das dann noch im Bodental. Wo findet man eine*n Koch*Köchin, wo Serviceangestellte, wie viele braucht es, aber vor allem wie viele kann ich mir zu welchem Lohn leisten. Ich denke, dass Corona und die Umschulungen diese Situation sicherlich nicht vereinfacht haben. Geschäftlich gesehen, ist dies meines Erachtens die größte Herausforderung und es ist daher auch unheimlich wichtig, dass die guten Mitarbeiter*innen wirklich auch gepflegt werden.

Neben den beruflichen ergaben sich aber auch Herausforderungen im privaten Bereich. Ich war mir schon bewusst, dass ich dann am Wochenende auch arbeiten muss, was es aber in der Praxis bedeutet, hatte ich mir nie so richtig vorgestellt. Oder sagen wir so, ich habe es wirklich verdrängt. Wie sollte das funktionieren, Familie, Kind und Arbeit alles unter einen Hut zu bringen? Die Betreuung der Tochter sicherzustellen? Ja, als Selbständige habe ich auch die Möglichkeit, meine Zeit teilweise flexibel einzurichten, als Gastronomin bin ich aber trotzdem an die Öffnungszeiten meines Betriebes gebunden und da ich selbst zusätzlich im Service arbeite, bin ich trotzdem eingeschränkt. Ich kämpfe jede Woche damit, alles unter einen Hut zu bringen und am Ende der Woche frage ich mich, ob ich allen gerecht geworden bin, vor allem meiner Tochter.  Wenn ich strahlende, erfolgreiche berufstätige Mütter sehe, die von sich behaupten, das ist alles kein Problem, Karriere und Familie, ohne große Abstriche unter einen Hut zu bringen, bin ich schon etwas neidisch.  Ich weiß, dass ich es nicht schaffen würde, hätte ich nicht meinen Mann, meine Eltern, Schwiegereltern und andere Verwandte und Bekannte, die helfen.

Gewonnene Erkenntnisse

Mein Gasthaus ist nun bald anderthalb Jahre geöffnet. Es galt viele Entscheidungen zu treffen, angenehme und unangenehme. Das Projekt habe ich in gewissen Bereichen auch total unterschätzt. Ich stehe wöchentlich vor Herausforderungen, die Entscheide fordern. Vieles habe ich gelernt in den letzten Monaten, vieles muss ich noch lernen. Ich durfte durch meinen Neustart viele interessante Menschen treffen. Ich konnte eine Branche kennenlernen, die, wie viele andere auch, gnadenlos sein kann. Mein Neustart ist so weit geglückt, mit all den Höhen und Tiefen, die dazu gehören.

Mein Fazit ist, dass es für einen Neustart absolut wichtig ist, ehrliche und klare Vorstellungen zu haben. Sich bewusst zu sein, dass es ständig Entscheidungen braucht; angenehme und unangenehme. Dass man sich zugunsten des Weiterkommens auch Trennungen eingehen muss, ein Netzwerk absolut notwendig ist und alles nicht unterschätzt werden darf. Und ja, trotz allem, mir fehlt mein alter Beruf. Ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, seine Heimat zu verlassen und einen neuen Beruf auszuüben. Offenheit, Optimismus, Flexibilität wie auch Durchhaltewillen sind wichtige Erfolgsfaktoren.  

Zur Person:

Andrea Loeffel-Raszer, ehemalige Berufsoffizierin der Schweizer Armee und heute Gastronomin in Kärnten. Im August 2021 eröffnete ich im wunderschönen Bodental ein kleines Gasthaus mit zwei Appartements.

Nachdem ich mich als Personalfachfrau ausbilden ließ, habe ich mich entschieden doch den Weg des Berufsoffiziers einzuschlagen und so habe ich an der ETH Zürich einen Bachelor in Staatswissenschaften absolviert und somit das Diplom zur Berufsoffizierin erhalten. Später habe ich in Österreich meinen Master in Strategischem Sicherheitsmanagement gemacht. Und nun führe ich ein kleines Gasthaus im Bodental.

Das Gasthaus: Gasthaus-Pension ZUM MÜHLRAD, das Gasthaus im Bodental gibt es eigentlich schon seit mehreren Jahrzehnten, aber in der Form wie ich es betreibe, seit August 2021. Wir sind ein kleiner Betrieb und bieten eine kleine feine Speisekarte mit österreichisch-schweizerischen Leckereien an. www.zum-mühlrad.at