Daniela Stein erzählt im Interview, warum wir zum Weltfrauentag keine Blumen und Pralinen brauchen. Stattdessen fordert sie engagierte Maßnahmen zur Gleichstellung. Den größten Handlungsbedarf sieht sie beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Weltfrauentag 2022: wo stehen wir?

Vor 22 Jahren habe ich das Business Frauen Center gegründet mit dem Ziel ein überregionales weibliches Wirtschaftsnetzwerk aufzubauen, um die Chancengleichheit von Frauen in der Wirtschaft zu erhöhen. Das ist uns sehr gut gelungen, doch der Weg zur Gleichberechtigung ist nach wie vor mangels einer innovativen Frauenpolitik in Österreich nicht einfach. Denn das traditionelle Mindset hemmt Frauen in ihren Entwicklungen und so können viele ihr Potenzial nicht entfalten. Wir haben im internationalen Ranking viele Defizite in Bereichen der Gleichberechtigung, und zu wenig Frauen in Führungspositionen. Ein Kind bedeutet für die meisten Frauen einen erheblichen Karriereknick. Damit geht viel Potenzial verloren und es macht uns weniger wettbewerbsfähig im Vergleich mit anderen Nationen.

Erinnern wir uns auch an den Equal Payday, der uns vor ein paar Wochen wieder vor Augen geführt hat, welche Geschlechterunterschiede im Verdienst vorherrschen. Frauen bekommen bis zu 29% weniger für ihre Arbeit bezahlt und frauendominierte Branchen haben niedrigere Kollektivverträge. Darüber hinaus arbeiten Frauen öfter Teilzeit und leisten mehr an unbezahlter Arbeit – das alles wirkt sich vor allem im Ruhestand aus, wo Frauen im Durchschnitt über 40% weniger Pension erhalten als Männer und wesentlich öfter von Altersarmut betroffen sind. Damit geht auch einher, dass Frauen einen geringeren Anteil an Vermögen und Eigentum haben.

Was waren die Herausforderungen im letzten Jahr für Frauen ihrer Ansicht nach? 

Die Herausforderung der meisten Frauen war der Umgang mit ihrem Anspruch und der Notwendigkeit allgegenwärtig zu sein und die daraus resultierende allgemeine Erschöpfung. In der Pandemie haben Familien Alltagsstrukturen verloren. Somit waren die Frauen gefordert diese herzustellen mit dem Wunsch allen gerecht zu werden, sowohl der*dem Arbeitgeber*in als auch der Familie gegenüber.

Dieser mehrjährige Spagat kostet viel Kraft und die Energiereserven der meisten Frauen sind aufgebraucht. Die Erschöpfung der Frauen lässt sie noch weniger am politischen Leben teilhaben, denn sie sind mit ihrem Mikrokosmos und dessen Bewältigung beschäftigt.

Es hat auch gezeigt in wie vielen systemrelevanten Bereichen wir Frauen arbeiten, sei es der Pflege, Handel, Bildung etc. Doch trotz diesem Wissen werden diese Bereiche nicht genügend anerkannt, weder im Image noch in der Bezahlung. Hier braucht es dringend ein engagiertes Handeln seitens der Politik.

Was sind Ihre dringlichsten Anliegen in puncto Frauenpolitik?

Ich sehe den dringlichsten Handlungsbedarf bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Muttersein ist kein Hobby, kein Privatvergnügen, sondern ein wertvoller gesellschaftlicher Beitrag für die Zukunft. Dafür braucht es viel mehr Wertschätzung und vor allem finanzielle Anerkennung, was Frauen für unsere Gesellschaft leisten! Das müssen wir auch am Weltfrauentag kommunizieren.

Natürlich haben Frauen in jeder Generation wahnsinnig viel geleistet. Doch ich getraue mich zu behaupten, dass keine Frauengeneration so viele unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen erfüllen muss wie heute. Denn schon lange sind diese Anforderungen keine freiwillige Entscheidung mehr. Durch die hohen Lebenserhaltungskosten müssen Frauen arbeiten gehen, um einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten. Als Mutter von vier Kindern erlebe ich die derzeitige Situation als absolutes Dilemma. Die meisten Mütter strampeln atemlos durch mindestens 15 Jahre ihres Lebens mit dem Gefühl, wenig politische und gesellschaftliche Unterstützung zu erhalten.

Laut der österreichischen Frauenpolitik benötigen wir für dieses Problem nur genügend öffentliche Kinderbetreuungsplätze. Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich mit frauenspezifischen Themen und bin immer wieder fassungslos, welche Ignoranz und Respektlosigkeit die Politik den Frauen gegenüber bringt. Obwohl wir mehr als 50% der Gesellschaft ausmachen, werden wir in vielen Belangen übersehen. Frauenbedürfnisse werden nicht einfach mit Kinderbetreuungsplätzen abgetan. Aber wenn wir schon davon reden, dann braucht es nicht nur flächendeckende, sondern auch kostengünstige, flexible und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. Pädagog*innen aller Altersstufen müssen ein höheres Gehalt verdienen und attraktivere Arbeitsbedingungen erhalten.

Darüber hinaus müssen wir weiter den gesellschaftspolitischen Diskurs über unsere Definition und Wert von Arbeit vorantreiben und vor allem umsetzen! Wie schaffen wir flexible, attraktive Arbeitsmodelle, die es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren? Müssen Vollzeit wirklich 40 oder 38,5h Stunden sein? Wie ermöglichen wir Frauen, die sich für ein Kind entscheiden, trotzdem beste Aufstiegsmöglichkeiten und weniger Gehaltseinbußen? Wie wird abgegolten, was wir heute noch als unbezahlte Arbeit definieren? Damit wir Altersarmut und Pensionseinbußen vorbeugen? Dazu liegen schon viele Ideen und nachahmenswerte Beispiele am Tisch. Doch allem voran brauchen wir eine reformwillige Politik mit einer Frauenministerin, die sich ernsthaft engagieren, und mutige Gestalter*innen und Umsetzer*innen in Wirtschaft und Gesellschaft.

Warum ist es auch 2022 noch so wichtig, am Weltfrauentag ein Bewusstsein für Gleichstellung zu schaffen? 

Weil Veränderungen in Richtung Gleichstellung viel zu langsam fortschreiten und wir uns damit nicht zufriedengeben dürfen. Natürlich sind wir es leid, aber wir dürfen nicht müde werden, auf diese Ungerechtigkeiten hinzuweisen und hartnäckig einen Strukturwandel zu fordern. Auch in Verantwortung für unsere nachfolgenden Generationen. Ich träume von einem Weltfrauentag in der Zukunft, an dem wir tatsächlich die Gleichstellung aller Geschlechter feiern werden.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Arbeit als Chefin des BFC?

Das Business Frauen Center ist eines der erfolgreichsten social Businesses in Österreich. Es wurde durch eine Privatinitiative im Jahr 2000 in Kärnten gegründet, ist ein politisch und ideologisch unabhängiges weibliches Wirtschaftsnetzwerk mit rund 5000 Frauen.

Ich habe es mit anderen engagierten Frauen gegründet, weil wir wissen, wie wichtig der Zusammenhalt unter Frauen ist und wie wir gemeinsam die Gesellschaft mit unseren Handlungen beeinflussen können. Sei es als Entscheidungsträgerin in der Wirtschaft, als Pädagogin, als Mutter oder alle gemeinsam als Konsumentinnen. Unser Slogan „women for a sustainable future“ appelliert Verantwortung für die eigene als auch für die Zukunft der nächsten Generation sowie für unseren Planeten zu übernehmen.

Ich liebe meine Arbeit und bin auch sehr dankbar dafür, dass ich diese sinnerfüllende Arbeit machen kann. Es gibt noch viel zu tun, daher freue ich mich so viel Zuspruch auch von sehr jungen Frauen zu bekommen, die Teil unseres BFC Netzwerkes werden.