Hinter jedem Konflikt steckt ein Wunsch
Jeder Mensch ist ein Unikat, unterscheidet sich von anderen durch sein Aussehen, seine Talente, seinem Charakter, aber denkt, fühlt und handelt auch anders. Die Wahrnehmung jedes einzelnen Menschen ist unterschiedlich. Was sich dabei abspielt, lässt sich mit der Reaktion chemischer Stoffe in einem Reagenzglas vergleichen: Sie verbinden sich zu etwas Neuem oder führen im Extremfall zur Explosion. Damit sind Konflikte vorprogrammiert – ob in uns selbst, in der Partnerschaft oder Familie, in der Firma, der Politik oder im Weltgeschehen. Es geht immer um physische oder psychische Grenzüberschreitungen. Meist beginnt es schon morgens mit dem wohl bekanntesten Konflikt – dem inneren Konflikt – wenn der Wecker klingelt und man lieber im Bett bleiben möchte.
Es beginnt schon in der kleinsten Zelle – in der Familie.
Ich selbst bin auf einem kleinen Bauernhof im Lavantal groß geworden und mit fünf älteren Brüdern aufgewachsen. Konflikte zwischen meinen Brüdern standen an der Tagesordnung. Es war oft laut, manchmal flogen „die Fetzen“, dann war es wieder leise, manchmal zu leise – man ignorierte sich, denn es gibt viele Strategien den anderen zu bestrafen, ob laut oder leise. Konflikte machen oft Angst. Kinder können nicht einschätzen, ob der Konflikt sich wieder legen wird, es fühlt sich meist wie eine Katastrophe an. Heute weiß ich, wie wichtig es für meine Brüder war, die Rangordnung auszufechten und sich mit dem anderen zu messen. Heute ist es unter anderem mein Job als Mediatorin und psychologische Beraterin meine Klient*innen in Konfliktsituationen zu begleiten und den Beigeschmack der Katastrophe rauszunehmen – und ich liebe diesen Job. Ich weiß, meine eigenen Erfahrungen mit Konflikten sind mir da eine große Hilfe in der Königsdisziplin der Allparteilichkeit zu bleiben, denn jede Person hat in ihrer Wahrnehmung recht und es geht nicht um Sieger und Verlierer – es geht darum, den anderen zu verstehen. Alle, die gerade in einem Konflikt stecken, wissen, keinem der beiden Parteien geht es gut – ob es den „Stärkeren“ oder den „Schwächeren“ betrifft. Beide befinden sich in einer absoluten Stresssituation.
Mehrheitlich gehen wir davon aus, dass andere genauso ticken wie wir selbst und wir einander daher problemlos verstehen müssten. Wenn wir uns aber dessen bewusst sind, dass wir oft ganz unterschiedliche Ideen und Ziele haben, bekommen wir einen anderen Blick auf Konflikte und können beispielsweise durch gemeinsames Planen, genaues Zuhören und Nachfragen bereits einen beträchtlichen Teil davon abwenden. Auch eine Nacht über den Konflikt zu schlafen, ist oft sehr sinnvoll.
Auslöser von Konflikten
Besonders unter Stress, beispielsweise bei Überforderung, Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, unklaren Aufgabenstellungen, unterschiedliche Wertehaltungen haben wir weniger Zugang zur Vernunft und klarem Denken. In unserer Nebennierenrinde wird Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet und in einer Nano-Sekunde – das ist ein Bruchteil einer Sekunde, sind wir vergiftet. Wir haben nur mehr drei Möglichkeiten: Wir laufen entweder vor dem Problem davon, wenn wir schnell genug sind, wir beginnen mit unserem Gegenüber zu kämpfen, wenn wir stark genug sind oder wir verfallen in eine Starre und sind denk- und handlungsunfähig. Erst, wenn sich dieser Hormoncocktail in unserem Körper neutralisiert hat, können wir wieder klar denken und machen uns meist große Vorwürfe, nicht anders gehandelt zu haben und das schlechte Gewissen trägt dann meist noch das Seine dazu bei, um uns dann so richtig schlecht zu fühlen.
Wir sind verunsichert, verärgert oder beides. Der Teil unseres Gehirns, der eher für instinktgeleitetes Verhalten zuständig ist – das limbische System – übernimmt das Kommando und wir sind nicht mehr in der Lage, konstruktiv und lösungsorientiert vorzugehen. Das führt dann oft zu schnellen Schuldzuschreibungen und negativen Interpretationen des Verhaltens der anderen, von Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen oder Vorgesetzten. Wir reden dann nicht mehr miteinander, sondern übereinander – soziale Ansteckung, wir suchen nach Verbündete.
Kampf oder Flucht?
Sind wir körperlichen Bedrohungen ausgesetzt, sind diese Reaktionen durchaus sinnvoll. Unser physiologisches Reiz-Reaktions-System bereitet sich mit einer erhöhten Ausschüttung von Cortisol und Adrenalin auf Kampf oder Flucht vor. Bei sozialen Konflikten reagiert unser Körper gleich: Er kann zwischen physischer und psychischer Bedrohung nicht unterscheiden. Unser Denken ist ausgeschaltet – es würde bei körperlicher Bedrohung viel zu langsam reagieren. Gerade aber dieses langsame Reagieren ist bei sozialen Konflikten viel sinnvoller. Es gibt Raum für Besinnung, wir gewinnen Abstand zum Geschehen und können über andere Lösungsmöglichkeiten als Kampf oder Flucht – wie Kooperation, Kompromiss oder Konsens – nachdenken.
Stehen wir unter massivem Druck, fühlen uns ausgeliefert, hilflos oder wütend, fällt es uns schwer, Situationen differenziert einzuschätzen und auf mögliche Auswege zu fokussieren. Und unsere „Gruselphantasie“, die mit der Realität nichts zu tun hat, ist sehr kreativ und fährt Achterbahn mit unseren Gedanken.
In Konfliktsituationen handlungsfähig bleiben
Der erste Schritt ist, die eigenen Sorgen oder den Ärger wahrzunehmen und sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden und den Konflikt oder den Ärger so früh als möglich anzusprechen, denn vielleicht handelt es sich um ein Missverständnis. Je länger mit der Aussprache gewartet wird, desto größer wird der innere Groll der anderen Person gegenüber. Gegebenenfalls gibt es auch die Möglichkeit eines Coachings, in dem innere Blockaden gelöst werden, um genau in solchen Situationen handlungsfähig zu bleiben.
Über die Autorin
Gabriele Schreilechner, Geschäftsführerin und Inhaberin der Sandless Consulting KG in eigener Praxis in Klagenfurt
Systemischer Coach, eingetragene Mediatorin, Expertin für Konfliktmanagement und gerichtsnahen Mediation, Psychologische Beraterin, Supervisorin, Organisationsentwicklerin, Unternehmensberaterin HR, ROMPC®-Coach, FH-Lektorin Hauptaufgabengebiet: Führungskräfteentwicklung in Klein- und Mittelbetrieben bis hin zu großen Konzernen im Hinblick auf Kommunikation, Konfliktmanagement und Führung