Klimaangst & Co.: Gefühle als Gamechanger in der ökologischen Krise?

Die Hitzewellen im Sommer 2022 haben allein in Europa mehr als 61.000 Menschen das Leben gekostet[1]. Doch die klimatischen Veränderungen erweisen sich zunehmend – und das wird noch viel zu selten thematisiert – auch zum Problem für unsere mentale Gesundheit. In den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Gebieten zeigt sich bereits ein direkter Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Traumata durch Extremwetterereignisse oder den Verlust von Lebensgrundlagen und Kultur (IPCC/2023)[2]. Im Gegensatz dazu ist „Öko-Angst“[3] nicht behandlungsbedürftig. Sie ist keine Angststörung (wie z.B. Platzangst), bei der Betroffene ein übersteigertes Angsterleben in Situationen zeigen, die die meisten Menschen nicht als bedrohlich empfinden. Klimaangst ist eine adäquate emotionale Reaktion auf eine äußerst reale und massive Bedrohungssituation (vgl. z.B. van Bronswijk/2022, van Bronswijk & Hausmann/2022).

Die Realität ist oft nur schwer auszuhalten

Beschäftigt man sich mit der Umweltkrise und ihren Ursachen und Folgen, durchlebt man fast unweigerlich starke Gefühle: Manchmal bin ich richtig wütend – zum Beispiel, wenn ich lese, dass demnächst wieder einmal vor unserer Haustüre mehrere Hektar fruchtbares Ackerland unwiederbringlich versiegelt werden – diesmal durch die öffentliche Hand für den Bau einer Justizanstalt[4]. Mitunter habe ich auch Angst – etwa, wenn ich an das drohende EU-Mercosur-Freihandelsabkommen denke, das die Umweltzerstörung wohl weiter vorantreiben wird[5]. Oft bin ich auch traurig – wenn Meerestiere am Plastik in ihrem Körper sterben, die nächste Schmetterlingsart von der Bildfläche verschwindet oder Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil sie schlicht unbewohnbar geworden ist. Dazu gesellt sich meist ein Gefühl von Ohnmacht, weil ich all diesen Entwicklungen nichts entgegenzusetzen weiß. Und Scham, weil ich so privilegiert lebe. Das kann sehr belastend sein. Brauche ich deshalb Hilfe?

Klimagefühle produktiv nutzen

Nun, das Problem sind nicht meine Gefühle. Im Zusammenhang mit den komplexen Gefahren der ökologischen Krise sind sie durchaus berechtigt. Das Problem ist die Klimakrise an sich oder vielmehr die unzureichenden Gegenmaßnahmen. Klimagefühle können erdrückend werden und uns handlungsunfähig machen. Sie können aber auch für den nötigen Motivationsschub sorgen. Entscheidend ist dabei, sich diesen Gefühlen zu stellen, sich mit anderen zu vernetzen und aktiv zu werden, wie die britische Psychotherapeutin Susie Orbach betont: „Gefühle sind […] ein wichtiges Merkmal unserer politischen Aktivitäten. Unsere Gefühle – uns und anderen – zuzugeben macht uns stärker. Wir müssen trauern und organisieren, nicht entweder das eine oder das andere“ (Orbach/2019, S. 77). Die schwedische Psychologin Maria Ojala konnte in einer Studie mit Jugendlichen zeigen, dass sich die sinnorientierte Bewältigung („meaning-focused coping“) klimabezogener Gefühle als besonders hilfreich erweist. Vielleicht fällt es unter diesem Gesichtspunkt leichter, Klima-Aktivismus nicht als Belästigung, sondern als Ausdruck berechtigter Zukunftsangst zu verstehen.

Das Prinzip Hoffnung

Wie wäre es also, wenn wir unseren Blick weg von der Diskussion lenken, ob wir es gut oder schlecht finden, dass sich Menschen an Straßen festkleben, und uns stattdessen fragen, warum Aktivist*innen solche Dinge tun? Stellen wir uns endlich den „unbequemen Wahrheiten“[6], steigen wir ein in die Hochschaubahn der Klimagefühle! Immerhin gibt es neben all dem Unangenehmen auch viel Schönes zu entdecken: Glücksmomente, wenn wir uns auf echtes Naturerleben einlassen. Ein Gefühl der Verbundenheit, wenn wir unsere Sorgen und Ideen mit Gleichgesinnten teilen dürfen. Oder das beste Klimagefühl von allen: die Hoffnung, die sich unweigerlich einstellt, wenn wir es schaffen, Veränderungen in Gang zu setzen. Aber auch Angst, Wut, Trauer und Scham dürfen sein. Was nicht sein darf, ist Gleichgültigkeit. 

Quellenangabe/Referenzen

Gore, Al (2006): Eine unbequeme Wahrheit. Die drohende Klimakatastrophe und was wir dagegen tun können. München: Riemann.

Ojala, Maria (2016): Young People and Global Climate Change: Emotions, Coping, and Engagement in Everyday Life. In: Ansell, Nicola, Klocker, Natascha & Skelton, Tracey (Hrsg.): Geographies of Global Issues: Change and Threat. Geographies of Children and Young People, vol. 8, Singapur: Springer.

Orbach, Susie (2019): Klimakummer. In: Kaufmann, Sia Kamala, Timmermann, Michael & Botzki, Annemarie (Hrsg.): Wann wenn  nicht wir*. Ein extinction rebellion Handbuch. 2. Auflage. Frankfurt am Main: S. Fischer.

van Bronswijk, Katharina (2022): Klima im Kopf: Angst, Wut, Hoffnung: Was die ökologische Krise mit uns macht. München: oekom.

van Bronswijk, Katharina & Hausmann, Christoph M. (2022): Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Über die Autorin

Als Journalistin, Trainerin und Lebens- und Sozialberaterin nähert sich Ursula Mikosch der Klimakrise und unserem Umgang damit aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Unter anderem berät und begleitet sie Menschen und Organisationen bei ökosozialen Veränderungsprozessen. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind das Vermitteln grundlegender ökologischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge, das Entwickeln positiver Zukunftsvisionen oder eben der konstruktive Umgang mit Klimagefühlen.

Statement: Klimaangst ist keine neue Modekrankheit. Klimaangst ist eine adäquate emotionale Reaktion auf eine äußerst reale Bedrohungssituation. Genau wie Klimawut, Klimatrauer oder Klimascham. All das darf sein. Was nicht sein darf ist Gleichgültigkeit. 


[1] Die Studie im Detail, online abrufbar: https://2022.isglobal.org/ (Stand: 11.7.2023)

[2] International Panel on Climate Change: AR6 Synthesis Report: Climate Change 2023, online abrufbar: https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-cycle/ (Stand: 12.7.2023)

[3] Mehr Informationen zum Thema z.B. bei American Psychological Association  (https://www.apa.org/topics/climate-change) oder bei Psychologists for Future (https://english.psychologistsforfuture.org/)

[4] ORF Kärnten: Neubau der Justizanstalt ab 2024,online abrufbar: https://kaernten.orf.at/stories/3209594/ (Stand: 11.7.2023)

[5] Eine umfassende Darstellung aus Sicht der Umweltschutz-NGO Greenpeace, online abrufbar: https://greenjournal.greenpeace.at/natur/waelder/eu-mercosur-der-umstrittene-freihandelspakt-einfach-erklaert (Stand: 11.7.2023)

[6] „An Inconvenient Truth” (engl. Originaltitel) ist der Titel eines oscarprämierten Dokumentarfilms von Davis Guggenheim aus dem Jahr 2006 mit dem US-Vizepräsidenten Al Gore. Unter demselben Titel ist auch ein Buch erschienen (siehe Quellenangaben).