Kürzlich las ich in einer Wirtschaftszeitung, dass ein chinesisches Gaming-Unternehmen den menschlichen CEO durch einen KI-gesteuerten Chef ersetzt hat. Die Ergebnisse sind verblüffend: Die Kennzahlen des Unternehmens haben sich im Vergleich zum Markt außerordentlich positiv entwickelt. Sollten wir uns Sorgen machen, dass Künstliche Intelligenz (KI) herkömmliche Führungskräfte verdrängt? Wenn wir an Vorfälle wie “Management-Derailments” denken sowie an die bekannten Fehler in menschlichem Denken und an die vielen Mitarbeiter*innen, die wegen ihrer Chefs kündigen, mag diese Vorstellung für Unternehmen durchaus verlockend erscheinen. Ist es also an der Zeit, die Frage zu stellen: Kann KI eine bessere Führungskraft sein? Moment mal, ich finde da gibt es doch einiges zu bedenken.

Was ist der Unterschied zwischen Mensch und KI?

Da es bei Führung im Kern um Menschen geht, finde ich es höchst beunruhigend, dass Maschinen in Führungspositionen eingesetzt werden sollen. Der Mensch ist ein denkendes und fühlendes Wesen mit Verantwortungsbewusstsein. Denken erfordert Bewusstsein und unterscheidet sich fundamental von maschineller Datensammlung und Informationsverarbeitung. Doch die KI hat einen entscheidenden Vorteil: Sie trifft Entscheidungen auf Basis von Daten und Fakten, ohne von Emotionen beeinflusst zu werden. Während Menschen anfällig für Denkfehler und Vorurteile sind, bleibt die KI stets objektiv. Aber was ist mit den zwischenmenschlichen Aspekten der Führung? Ein Chef ist nicht nur dafür da, Entscheidungen zu treffen, sondern auch, seine Mitarbeiter zu inspirieren, zu motivieren und zu führen. Hier stößt die KI an ihre Grenzen. Denn sie kann keine moralischen Werte, keine Empathie und keine menschlichen Beziehungen verstehen. KI stellt sich keine Sinnfragen und empfindet keine Moral. Ich hoffe, meine Meinung, dass es dieses Menschsein zu verteidigen gilt, teilen viele.

Natürlich kann KI uns helfen, smarte Entscheidungen zu treffen – als Assistent. Sie kann uns unterstützen, unsere Denkfehler auszumerzen. Aber sollen wir ihr die Führung unserer Unternehmen überlassen? Ich finde, wir sollten besser mal genauer hinschauen, wie wir überhaupt unsere Führungskräfte auswählen.

Vermeidung von Fehlern bei der Auswahl von Führungskräften

Hier besteht nämlich definitiv Handlungsbedarf. Die Forschung hat klare Vorstellungen davon, wie die Personalauswahl optimal gestaltet werden sollte. Tatsächlich lassen sich in keinem anderen Bereich des Personalwesens vergleichbar fundierte Handlungsempfehlungen ableiten. Die Forschung empfiehlt eindeutig standardisierte Auswahlverfahren (präzise Anforderungsanalyse, wissenschaftlich fundierte Tests, standardisierte Interviews). Aber was tun wir? Personaler setzen häufig auf unstrukturierte Interviews und ihr Bauchgefühl. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass unstrukturierte Interviews nur geringfügig die berufliche Leistung von Bewerbern prognostizieren können – zwischen 4 und 14 %. Hochstrukturierte Interviews hingegen erzielen Werte von bis zu 50 % (Kanning, 2020). Laut Expertenschätzungen (Kanning, 2020) können die meisten angewandten Auswahlverfahren kaum mehr als 20 % der beruflichen Leistung vorhersagen. Es werden also jährlich Milliarden Euro nach dem Zufallsprinzip investiert. In anderen Kontexten undenkbar. Das Problem liegt nicht darin, dass eine bessere Personalauswahl nicht möglich wäre, sondern darin, dass die Entscheidungsträger die relevanten Forschungsergebnisse seit Jahrzehnten ignorieren und die Möglichkeiten der Personalauswahl nicht nutzen. Unzählige Studien zeigen, dass wir in systematischer Weise Menschen verzerrt wahrnehmen, wenn wir sie aus dem Bauch heraus beurteilen. Klarer Fall: Wir sollten auf solide Forschungsergebnisse hören und nicht auf unseren Bauch.

Unterschätzung von Intelligenztests bei Führungskräfteauswahl im DACH-Raum im Vergleich zu den USA

Der Intelligenztest zählt zu den validesten Messinstrumenten, wird jedoch im DACH-Raum weniger genutzt im Gegensatz zu den USA. Höhere Führungsebenen und Headhunter-Vorauswahl reduzieren seine Anwendung. Möglicherweise aus Rücksicht, um niemanden zu verletzen, der bereits als kompetent angesprochen wurde. Dies mindert seine Aussagekraft, besonders bei anspruchsvollen beruflichen Aufgaben. Bei Managementpositionen prognostiziert er allein 45 % der beruflichen Leistung, ein unvergleichlicher Wert. Eine Studie (Imbery et al., 2022) betont Intelligenz in Zukunftskompetenzen von Führungskräften, einschließlich Technologietrends, Geschäftsmodellgestaltung und Prozessinnovation. Andere Fähigkeiten wie Ambiguitätstoleranz basieren auf Persönlichkeitsmerkmalen wie Offenheit und Verträglichkeit. Selbstwert ist entscheidend – Manager müssen Verantwortung abgeben können, gestützt von Selbstreflexion und Vertrauen. Gesunder Selbstwert fördert positive Einstellungen, Umgang mit Stress und Authentizität.

Führungserfolg hängt von Intelligenz, Selbstwert, Offenheit, Verträglichkeit ab. Negative Aspekte wie die dunkle Triade spielen ebenfalls eine Rolle, oft bei Auswahlverfahren übersehen. Diese Konzepte lassen sich zuverlässig messen, doch Praxis bevorzugt oft aufwendige, weniger effektive Auswahlverfahren. Nutzung von Forschungsergebnissen und validen Instrumenten ist essenziell – Ärzte berücksichtigen Forschung auch in Behandlungen statt einfach Aspirin bei Gastritis zu verschreiben.

Und was ist eigentlich trainierbar?

Potenzialanalysen unterstützen nicht nur die Auswahl, sondern fördern auch die Selbstreflexion und die persönliche Entwicklung. Sie identifizieren individuelle Stärken und Entwicklungspotenziale von Führungskräften. Selbstwert, essenziell für gute Führung, lässt sich gezielt trainieren, während Stabilität von Offenheit und Flexibilität zunehmen. Intelligenz ist nicht veränderbar. Daher ist kluge Personalauswahl wichtiger als umfangreiche Entwicklung.

In der Personalentwicklung fehlt oft Forschungsbezug. Tradition, Trends und vermeintliche Innovationen dominieren. Erfolgreich sind Maßnahmen mit Berufsbezug und konkret eingeübtem Verhalten, wie Forschung zeigt.

Was folgt daraus? Führungskräfteauswahl ist entscheidend für Unternehmen. Hier besteht Verbesserungspotenzial, vor allem, um junge Menschen für die Arbeitswelt zu begeistern. Führungskräfteauswahl sollte nicht dem Zufall überlassen werden, um KI nicht die Chefpositionen zu überlassen. Führung soll menschlich bleiben.

Zur Autorin:

Als Unternehmensberaterin und Trainerin berät und begleitet Verena Cozelenka unter anderem bei der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften Der Kern ihrer Arbeit besteht darin, die Entfaltung des höchsten Potenzials in Menschen, Unternehmen und Organisationen zu fördern. Sie ist Expertin darin Menschen zu analysieren und ihr Potenzial zu erkennen.

Verena Cozelenka bietet Individuelle und maßgeschneiderte Lösungen in den Bereichen Personalauswahl, Potenzialdiagnostik und Personalentwicklung und sie kombiniert dabei uralte Praktiken mit neuesten Erkenntnissen der Neuro- und Persönlichkeitspsychologie und nutzt ihre Erfahrung als Führungskraft im HR. Verena’s Kerngebiet ist die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Psychologie.

Statement:

„Ich sehe die Auswahl von Führungskräften als einen wesentlichen Baustein erfolgreicher Unternehmen. Dieser Bereich hat Luft nach oben, insbesondere wenn wir wieder mehr junge Menschen für vollen Einsatz in der Arbeitswelt motivieren und begeistern wollen. Bei der Auswahl von Führungskräften gilt es zukünftig nichts mehr dem Zufall zu überlassen.“

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Quellen:

Kanning, Uwe Peter (2020): Warum scheitern Manager
Imbery, Silke et.al (2022): Digital-Leadership-Kompetenzkatalog. In: Führung und Organisation 02/2022