Ich stehe in einem Geschäft vor einem Regal, zwei Arten von Jausenboxen stehen zur Auswahl. Die dunkelblauen haben einen Astronautenaufdruck, die rosaroten einen Regenbogen. Ich schlussfolgere, dass ich als Mutter einer Tochter wohl zu zweiterer greifen soll.

Als junge Studentin ging es mir so wie vielen anderen Frauen in meinem Alter. Ich lebte in der tiefen Überzeugung, gleichberechtigt zu sein. Feministische Forderungen kamen von schmallippigen „Emanzen“, die ganz offensichtlich frustriert waren. Wenn über „schwierige“ Frauen gelästert wurde, war mir wichtig, mich abzugrenzen. Denn: Ich wäre nicht „wie die“.

Erst Jahre später sollte ich erfahren, dass es sich bei dieser Verhaltensweise um Lateral Violence handelt: Mitglieder einer benachteiligten Gruppe greifen sich aufgrund der Unterdrückung gegenseitig an. Ähnlich betroffen fühlte ich mich, als ich erfuhr, dass People of Colour ebenso agieren. Sie verinnerlichen abwertende Stereotype von weißen Menschen.

„Mit einem Kind wird alles anders“

Diesen Satz hatte ich viele Male gehört. Wie weitreichend diese Veränderungen sind, darf ich seit fast sieben Jahren erfahren. Die wohl größte Erkenntnis: Care-Arbeit ist unglaublich vielfältig und anstrengend. Es nimmt tagtäglich (und anfangs auch nachts) viel Zeit in Anspruch, einen kleinen Menschen zu hegen, zu pflegen und dessen Alltag zu organisieren. Die Elternschaft bringt außerdem mit sich, dass mir nun vieles auffällt. Aspekte, die mein Leben zuvor nicht berührten oder denen ich schlicht keine Aufmerksamkeit schenkte.

Beim Kleiderkauf gewöhnte ich mir an, das Geschlecht unseres Kindes nicht dazuzusagen. Sonst bekam ich nur rosarote, eng geschnittene oder mit viel Glitzer versehene Outfits in die Hand gedrückt. Sorry, aber ich brauche eine ÜBERGANGSjacke. Übergangszeit bedeutet Nässe und Schmutz – wie passt das zu einem eleganten, hellen Teil? Nun, gar nicht. So wie das Verhalten unserer Tochter nicht der Norm zu entsprechen scheint.

„An dir ist ja ein Bub verloren gegangen!“

Unsere Tochter klettert auf jeden Baum, ist immer in Bewegung und lässt keine Mauer aus. Als wahrer Bewegungsjunkie ist sie meistens verschwitzt, schmutzig und hat löchrige Hosen. Dadurch bricht sie mit dem weiblichen Stereotyp, was uns mehr als einmal rückgemeldet worden ist.

Dass Männlichkeit eher vertreten ist und als Norm angesehen wird, spiegelt auch die Unterhaltungsindustrie wider. Ich habe in der letzten Zeit zig Serien und Filme auf der Couch liegend sozusagen nebenbei analysiert und das Ergebnis ist ernüchternd. In den meisten Fällen sind die Hauptfiguren männlich, gibt es ein Trio, so besteht es fast immer aus zwei männlichen und einem weiblichen Teil. Selbst Tiere und Pflanzen (!) sind überwiegend männlich.

Schauen wir uns als Nächstes Kinderbücher an. Dieses Thema könnte am ehesten so zusammengefasst werden: Abenteurer auf der einen, Prinzessinnen auf der anderen Seite. Erstlesegeschichten sollten Erstlesegeschichten sein. Also Bücher für junge Menschen, die gerade das Lesen erlernen. Ich lade Sie ein, das Netz oder die Buchhandlung Ihres Vertrauens zu durchforsten. Sie werden Abenteurer & Forscher finden. Auf der anderen Seite Feen & Prinzessinnen.

Werfen wir zuletzt einen Blick auf das Aussehen der Figuren in Filmen, Serien, Büchern und Erstlesegeschichten. Sie sind: attraktiv, weiß und frei von sichtbaren Behinderungen. Es möge niemand behaupten, dass das nichts mit Heranwachsenden macht. Dass sie dadurch nicht in ihrer Sicht auf die Welt und auf das, was sie für erreichbar halten, beeinflusst werden.

Ja, ich bin „so eine“

Ein Bekannter sagte einmal spöttisch zu mir: „Aha, du bist also so eine.“ Mit ‚so eine‘ meinte er wohl: eine Feministin. Ja, bin ich.
Ich verwende bewusst inklusive Sprache. Sprache schafft Bewusstsein und beeinflusst unser Denken. Auch das der Kleinsten unter uns.
Ich freue mich über jedes Sujet, das mit Stereotypen bricht. Das People of Colour abbildet, lesbische oder homosexuelle Paare und Familien, die nicht dem „Vater-Mutter-ein Bub-ein Mädchen-alle blond und superschön“-Bild entspricht.
Ich bin für eine verpflichtende Quote. Allen, die jetzt aufschreien und sich um die Diskriminierung von Männern sorgen, sei ins Stammbuch geschrieben: Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Es ist nur gerecht, dass sie die Hälfte der Gremien, Parlamente, Vorstandssitze etc. besetzen.
Ich empfehle Frauen weiter.
Ich vernetze mich mit Frauen und sehe sie als Verbündete.
Ich bin für die Bezahlung von Care-Arbeit.

Es geht darum, die Welt für alle gerechter und besser zu machen – von Anfang an. Kinder sollen nicht in ein Schema gepresst werden, sondern Chancengleichheit erfahren und mit dem Bewusstsein aufwachsen, dass ihnen jede Art der Entwicklung offensteht.

Unserer Tochter wünsche ich, dass sie ihr Verhandlungsgeschick beibehält. Jetzt geht es um Süßigkeiten. Später um ein gleich großes Stück vom Kuchen.

Über die Autorin Mag.a Claudia Facciani-Rizzo

Germanistik/Italienisch-Studium in Graz und Rom; mehrjährige Leitung eines EU-Projektes; Kampagnenmanagement regionaler & nationaler Wahlkämpfe; Radio- und Synchronsprecherin; Diversity-Managerin; Personalentwicklerin; Selbstständige Moderatorin & Trainerin, Themen: Diversity Management, Moderation, Train the trainer. Nominierung für den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung 2010, Kategorie „Innovation“.

Quellenangaben:

Criado-Perez Caroline (2020): Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. 4. Auflage. München: btb.
Kandlbauer Minitta, Kandlbauer Melanie, Anyanwu Noomi (Herausgeberinnen, 2022): War das jetzt rassistisch? 22 Antirassismus-Tipps für den Alltag. Wien, Graz, Berlin: Leykam.
Mierau Susanne (2022): New Moms for Rebel Girls. Unsere Töchter für ein gleichberechtigtes Leben stärken. Weinheim Basel: Beltz.
Zykunov Alexandra (2022): „Wir sind doch alle längst gleich berechtigt!“ 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen. 3. Auflage. Berlin: Ullstein.