Die hochkarätige Podiumsdiskussion des 22. BFC Geburtstag zum Thema Sichtbarkeit neu gedacht moderierte niemand geringerer als Corinna Milborn. Evelyn Siebert traf die PULS 4 Chefredakteurin im Anschluss zu einem Interview, um ihre Sicht auf das Thema zu erfahren.

ES: Sie haben eingangs am Podium erwähnt, dass Sie bemüht sind, in Ihren Sendungen 40 % Frauen zu Wort kommen zu lassen. Wie schwierig ist es tatsächlich, weibliche Perspektiven für Medienschaffende zu gewinnen?

CM: Es ist tatsächlich schwer, es wird leichter, aber es ist schwer. Es gibt mehrere Faktoren, warum wir Schwierigkeiten haben, Frauen zu finden und warum Frauen auch Nein sagen. Das eine ist, wir brauchen natürlich die Entscheidungsträger*innen und in einer Welt, wo die Chefpositionen mit Männern besetzt sind, sind es dann automatisch Männer. Gerade in der Politik sind jetzt mehr Frauen da, aber in der Wirtschaft ist es immer noch so. Es gibt bspw. sehr wenige Vorständinnen in Österreich, und jetzt muss man oft eine Ebene darunter gehen und dort sagen dann viele Frauen: „Da müssen Sie meinen Chef fragen.“ Und das ist nicht unbedingt, weil sie schüchtern sind, oder weil sie es sich nicht zutrauen, sondern weil die Chefs selbst ins Fernsehen wollen, denn Airtime ist eine Währung. Sichtbarkeit ist wichtig. Männer wissen das, die kämpfen um jede Minute Fernsehen. Frauen in der zweiten Reihe sagen dann: „Das macht bei uns der Chef oder der Vorstand“, und müssen sogar zurückziehen.

Der andere Faktor ist, dass Frauen wesentlich härter kritisiert werden, einerseits was die Äußerlichkeit anbelangt, aber auch überhaupt die Tatsache, dass sie in der Öffentlichkeit auftreten. Und das bedeutet, dass es für manche Frauen gar nicht so gut ist. Zum Beispiel in der Wissenschaftswelt sagen mir oft Expertinnen, das machen sie nicht. Denn wenn sie am nächsten Tag zurück auf ihr Institut kommen, dann wird darüber geredet, was sie für einen Lippenstift gehabt haben. Dann wird ihnen vorgeworfen, dass sie so verkürzen. Männer aus der Wissenschaft bringt es Punkte, wenn sie im Fernsehen sind, und die Frauen haben das Gefühl, das bringt ihnen nichts, sondern es bringt ihnen immer Kritik ein. Was auch an dieser Irritation liegt, dass Frauen überhaupt in der Öffentlichkeit auftauchen. In der Welt leben wir halt noch immer und das zusammen führt dazu, dass es schwieriger ist, Frauen ins Fernsehen zu kriegen, aber es ist nicht unmöglich, man muss es einfach machen und es sich wirklich vornehmen.

ES: Sie verfolgen natürlich viele andere Debatten nicht nur in Ihren eigenen Sendungen, sondern auch von anderen Medien. Empfinden Sie einen Unterschied, wenn es sich um eine reine Männerrunde handelt bzw. wenn Frauen in der Unterzahl sind?

CM: Ich finde reine Männerrunden tatsächlich unangenehm zum Zuschauen. Es gibt diesen Spruch „Representation Matters“, also wenn man sich in einer Diskussionsrunde nicht repräsentiert fühlt, dann ist man weniger dabei. Das wird niemand so aussprechen, aber auf einer subtileren Ebene funktionieren wir so. Also wenn jemand für uns spricht, dann sollte sie*er uns ähnlich sein und wenn man keine Frau sieht, dann fühlt man sich nicht betroffen. Und das ist, glaube ich, ein Grund dafür, dass sich Frauen für bestimmte Dinge weniger interessieren. Männerfußball zum Beispiel. Spitzenpolitik war sehr lang so, dass Frauen sich viel weniger dafür interessiert haben. Sie waren halt einfach nicht vertreten.

Und in der Diskussionskultur macht es einen ganz großen Unterschied, weil Männer bestimmte Rituale haben, wenn sie in Gruppen sind. Also es gibt immer so ganz automatische Abläufe wie Revierkämpfe, wenn sie dort versuchen, sich in den Vordergrund zu spielen und wenig Wert darauf legen, miteinander im Austausch zu sein oder versuchen sich niederzumachen, das macht Sendungen nicht besser. Es dient höchstens der Unterhaltung, aber nur auf der Metaebene.

ES: Was denken Sie denn aus Ihrer Perspektive, wie man trotz der Widrigkeiten mehr Frauen gewinnen kann, in die Öffentlichkeit zu treten?

CM: Das eine ist die individuelle Ebene, also das eigene Selbstbewusstsein und das Streben nach Macht. Frauen sind grundsätzlich weniger bereit, große Einbußen in ihrer Lebensqualität hinzunehmen, um mehr Macht zu erlangen. Macht es aber schon gut. Also wenn man mal Macht hat, dann merkt man erst, wieso Männer so drum kämpfen, denn es ist schon super gestalten und umsetzen zu können. Und da braucht es einfach mehr, die das auch wollen, denn es kostet was. Sichtbarkeit kommt nicht gratis daher, mit der Kritik muss man umgehen können, man muss eine dicke Haut haben. Man muss sich trotzdem noch mal hinstellen, auch wenn man einen Fehler macht und darf sich nicht zurückziehen. Man darf nicht zu viel nach hinten denken, man muss nach vorne denken. Es läuft also schon auf Macht hinaus, auch Diskursmacht. Wenn man etwas einbringen will in den Diskurs, braucht man dazu eine gewisse Form von Macht, um gestalten zu können.

ES: Ist das die grundlegende Frage, wie wir Frauen dazu bringen, dass sie mehr Machtanspruch haben?

CM: Es ist ja nicht irrational, Macht nicht zu wollen, denn es ist einfach sehr mühsam in einer Welt, in der Frauen in Machtpositionen bis jetzt noch nicht vorgesehen sind. Auch wenn Unternehmen oder Institutionen eine Frauenquote machen, wird man als Frau in Toppositionen schief angeschaut, denn man ist ja nur wegen der Quote dort. Und mittelmäßige Männer sind dann ausgeschlossen, weil die Hälfte der Jobs nun den Frauen gehört und so weiter. Also, es ist schwierig. Und deswegen ist die zweite Komponente so wichtig, dass man die Strukturen ändert. Und ich glaube, wenn sich die Strukturen ändern und ein gewisses Gleichgewicht herrscht, das muss gar nicht fifty-fifty sein, dann ändert sich auch der Umgang und es wird einfacher. Frauen wollen vielleicht nicht wegen einer Spitzenposition ihre Kinder gar nicht sehen, weil sie um sechs in der Früh weggehen und um Mitternacht heimkommen. Männer übrigens vielleicht auch nicht. Vielleicht schaffen wir eine Welt, die auch besser ist für Frauen, ohne dass sie sich so 10 Jahre lang kaputt arbeiten und immer verbergen müssen, dass sie ein anderes Leben auch noch haben. Und auf dem Weg hin braucht man Vorreiterinnen mit der dicken Haut, die den Zug nach vorne haben und die sich nicht genieren zu sagen: „Ich bin ehrgeizig, ich will das erreichen.“ Und denen applaudiere ich.


ES: Wir haben nun schon mehrfach angesprochen, dass man in den Worten von Herta Stockbauer einen breiten Rücken braucht, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Jetzt stehen Sie persönlich sehr stark in der Öffentlichkeit und besetzen Themen, die gesellschaftspolitisch polarisieren. Sie werden oft mit schwierigen Kommentaren konfrontiert. Wie haben Sie denn diese Standhaftigkeit entwickelt, diesen breiten Rücken?

CM: Man lernt irgendwann, dass es einfach ein Teil davon ist. Ich finde, es ist schwierig, am Anfang damit umzugehen. Ich glaube, für junge Frauen ist das nochmal schwieriger, als wenn man jetzt schon so im Leben steht. Ich bin froh, dass ich, als das alles angefangen hat, schon über 30 war. Ich glaube, wenn man am Anfang der Karriere mit Anfang 20 mit Social Shitstorms konfrontiert wird, ist das wirklich sehr, sehr schwierig. Ich möchte das auch nicht wegreden, aber mittlerweile ist das mehr so wie ein Hintergrundrauschen. Trotzdem ist es auch so, dass aggressive Kommentare eine kleine Spur hinterlassen, denn zuerst ist die Emotionen da und dann die rationelle Erklärung, dass es bspw. aus einer bestimmten Ecke oder einer Kampagne kommt. Daher rate ich den Leuten immer, sich fernzuhalten, ich lese nicht darüber und beschäftige mich überhaupt nicht damit.

Also ich lese es, aber in dem Moment hab ich es schon geblockt, auch quasi als Service an den Leuten, die mir folgen. Ich sehe manchmal Leute, die sehr drin fest hängen und das ist einfach schädlich für die eigene Psyche. Das heißt, man muss diese Fähigkeit entwickeln, dass man sich abschüttelt und weiter geht, ohne die Reflexionsfähigkeit zu verlieren. Wer hat tatsächlich valide Kritik, mit der man sich auseinandersetzt? Für mich ist die Messlatte einfach Höflichkeit. 


ES: Was haben Sie sonst noch für Tipps für Frauen, die jetzt hoffentlich inspiriert von dieser Diskussion den Schritt in die Öffentlichkeit wagen?

CM: Ich glaube, was wichtig ist, der Schritt in die Öffentlichkeit ist für fast niemanden ein Selbstzweck. Und für wen es ein Selbstzweck ist, ist es nicht wahnsinnig gesund. Aber eigentlich ist es ein Mittel zu einem Zweck und diesen Zweck zu wissen hilft wahnsinnig im Leben. Jetzt weiß man sehr lange natürlich nicht, was der Zweck des eigenen Tuns ist, denn man wechselt oft Karriere oder interessiert sich für verschiedene Dingen. Ich finde, man sollte sich nicht so lange damit aufhalten, denn Sinn seines Lebens herauszufinden wie in den amerikanischen Filmen, wo man seinen großen Traum folgt. Die wenigsten Leute haben so einen großen Traum. Daher sollte man sich auch kurzfristig fragen: „Was interessiert mich jetzt?“ Und dafür knie ich mich jetzt rein, und dafür will ich auch Sichtbarkeit und sich die dann auch nimmt. Und das ist der zweite Tipp einfach auch wirklich sich klarzumachen, man braucht Macht, um gestalten zu können. Wenn man gestalten will, wenn man eine Stimme haben will oder jemand mit seiner Stimme verhelfen will, dann braucht man Macht. Das ist ein Wort, das ist unter Frauen nicht beliebt. Es ist nicht gut angesehen, machtgierig zu sein, sich in den Vordergrund zu spielen, etc., aber das muss einem egal sein.

ES: In der Diskussion ist auch aufgekommen, dass Anfeindungen nicht nur von der männlichen Seite kommen, sondern es auch Anfeindungen unter Frauen gibt. Denken Sie, müssen wir Frauen mehr solidarisch sein?

CM: Ja, ich finde Frauensolidarität extrem wichtig und versuch es zu leben, aber ich finde es trotzdem ganz normal, dass es so ist, und zwar aus zwei Gründen. Einerseits leben wir jetzt sehr lange in einer Welt, wo es immer nur eine Frau geben kann, nur eine Frau im Vorstand, nur eine Frau an der Spitze. Deswegen ist der Konkurrenzkampf um diesen einen Posten härter, als bei den Männern, die sich die anderen neun untereinander aufteilen, Seilschaften binden, sich gegenseitig weiterhelfen. Das hat bei Frauen lange überhaupt nicht funktioniert, denn es gab ja niemanden darüber, die sie rauf holen hätte können. Also es ist schon sehr rational in dem System.

Dann der zweite Aspekt ist, dass man viel über Karriere redet, aber viele Frauen das gar nicht wollen und in die Situation geraten, sich verteidigen zu wollen. Frauen, die sagen: „Ich will aber meine ganze Zeit meinen Kindern widmen“, fühlen sich angegriffen und sagen: „Ist das jetzt nichts mehr wert?“ Und in diese Falle darf man nicht tappen, natürlich ist es mehr wert als alles andere sich um ein Kind zu kümmern. Es sollte halt nur nicht die alleinige Aufgabe von Frauen sein, aber wenn sie es so machen wollen, dann sollen wir uns gegenseitig unterstützen dabei, und es wertschätzen und auf Augenhöhe begegnen.


ES: Der andere Punkt, der angesprochen wurde, war ja, dass vor allem Frauen über Äußerlichkeiten von Frauen lästern.

CM: Und das ist das Dritte. Männer beschäftigen sich weniger mit Äußerlichkeiten, weil sie es nicht müssen. Frauen beschäftigten sich mehr mit Äußerlichkeiten, weil es die ganze Zeit ein Faktor in ihrem Leben ist und danach beurteilt werden, und insofern reden sie natürlich auch mehr darüber. Also Männer reden auch übereinander, aber vielleicht nicht über ihren Anzug.

ES: Weil Sie die Frage in die Runde gestellt haben: hatten Sie selbst jemals das Imposter Syndrom?

CM: Also nicht so vordergründig, aber ich spüre schon, dass es manchmal da war. Aber ich habe gewusst, dass es falsch ist, das zu spüren. Aber ich kenne doch viele andere Frauen, bei denen war das sehr dominant und das hängt sehr stark vom Umfeld ab und wie man seine Karriere aufbaut. Ich war ja immer bis ich Chefredakteurin wurde selbstständig, da ist das nicht so. Aber wenn Frauen in Unternehmen in höhere Positionen kommen, dann müssen sich immer daran erinnern: „Ich habe ein Recht auf diesen Platz hier. Ich bin kein Eindringling, sondern die anderen können auch nicht mehr.“ Ich finde, Sonja Steßl hat das gut gesagt, man muss die Kompetenz nicht am Anfang haben, weil woher soll man sie haben? Aber man muss sich erarbeiten. Aber ich kenne das schon auch, ja. Ist man gut genug für das, wo man da ist? Oder überzieht man das jetzt? Ist man es wert? Ich glaube, das kennen sehr viele Frauen. Aber man kann auch mit unangenehmen Gedanken umgehen. Man muss nicht auf jedes unangenehme Gefühl reagieren.

ES: Abschließendes Statement?

CM: Vielleicht als abschließendes Statement: Es ist wichtig, Role Models zu haben, aber es ist auch wichtig, das eigene zu finden. Ich bin jetzt 50. Ich habe noch angefangen in einer Zeit, wo es viel schwieriger war als jetzt. Die Generation jetzt muss ihren eigenen Weg finden. Einen der großen Unterschiede, die ich sehe, ist bspw., als ich ein kleines Kind hatte, habe ich nie gesagt: „Ich muss das Kind vom Kindergarten abholen“, weil irgendetwas ist. Ich habe immer einen beruflichen Termin vorgeschoben, weil ich gewusst habe, das geht nicht. Da hat man sofort den Mamastempel drauf, die kann man nicht richtig einsetzen. Wir haben noch immer so ein System, wo Menschen in Führungspositionen die Aufgaben zu Hause jemand anderen übertragen müssen. Und die nächste Generation soll ja nicht in so einer Welt leben. Das bedeutet einfach, anders zu arbeiten. Dann kann man nicht 60 Stunden arbeiten. Und ich finde, das war damals sehr anstrengend, das zu machen und sich zusätzlich alles erkämpfen zu müssen, und ich möchte, dass die nächsten Generationen das nicht müssen. Deswegen ist es mit den Role Models so eine Sache. Man muss schon auch sein eigenes entwickeln. Weil Gott sei Dank haben sich die Zeiten mittlerweile auch geändert.

ES: Corinna Milborn, vielen Dank für das Gespräch!